Andreas Kern: Den globalen Markt von Anfang an im Kopf

*Das Interview erschien ursprünglich im Buch Erfolgsgründer made in Austria (2014). Hier bestellen.


Kurzbiographie

Andreas Kern ist ein erfahrener Serial-Entrepreneur. Time4Team gründete er bereits in den 90er-Jahren. Das Startup hatte zu Höchstzeiten 30 Mitarbeiter und mehr als 750.000 registrierte User. Danach arbeitete Kern beim Mobilfunkunternehmen ONE im M-Commerce und Business Development und war später als Geschäftsführer der paybox austria tätig. Nach rund viereinhalb Jahren in dieser Position gründete er das Unternehmen payolution, das Händlern Kauf auf Rechnung und Ratenzahlung als White-Label-Dienstleistung anbietet. Kern studierte Mathematik und Computerwissenschaften, hat einen Master of Science für Innovationsmanagement der Johannes Kepler Business School und ist ausgebildeter Börsenhändler für Termin- und Kassamarkt.

Zum Unternehmen

Wikifolio wurde 2008 entwickelt und startete im August 2012 in Deutschland. Investoren sind die Beteiligungsgesellschaft der Verlagsgruppe Handelsblatt, „VHB ventures“, die Wertpapierhandelsbank Lang & Schwarz und der Risikokapitalgeber Speedinvest. Im Juni 2014 erhielt das Startup von Speedinvest sechs Millionen Euro zur internationalen Expansion.*


ErfolgsgründerInnen Interview

Du hast mit Wikifolio eine neuartige Finanzplattform gegründet. Wie ist die Idee dazu entstanden?

Andreas Kern: 2008 habe ich mich sehr über meine Hausbank geärgert. Ich wollte eigentlich nur eine kleine Geldsumme anlegen, aber die Produktangebote meiner Bank waren sehr unbefriedigend. Das hängt wohl damit zusammen, dass die Mitarbeiter hauptsächlich darauf schauen, wo sie die besten Provisionen verdienen. Die Banken haben einen riesigen Vertriebsapparat aufgebaut, der zu völlig falschen Anreizen führt. Ich dachte mir, das muss besser gehen und Social Media könnte dabei eine große Rolle spielen. Denn Finanzprodukte sind virtuelle Güter, bei denen in erster Linie der Erfahrungsaustausch zwischen den Menschen zählt.

Wann hast du dann mit der Entwicklung von Wikifolio begonnen?

Kern: Das war bereits vor der Finanzkrise 2008, die dann allerdings den weiteren Fortschritt stark einbremste. Wir haben gesehen, dass es ohne die finanzielle Unterstützung eines Partners nicht geht und haben das Projekt erst einmal auf Sparflamme gesetzt. 2012 sind wir dann richtig durchgestartet. Die lange Nachdenkzeit hat es uns ermöglicht, Wikifolio strategisch optimal zu positionieren.

Wie meinst du das?

Kern: Wenn jetzt ein Mitbewerber ein ähnliches Produkt starten möchte, dann muss er erst einmal einige Eintrittsbarrieren überwinden. Er braucht einen elaborierten Track-Record und wir haben definitiv einen „First Mover“-Vorteil.

Wikifolio versteht sich als innovative Finanzplattform, aber was ist jetzt wirklich das Neuartige daran?

Kern: In Wikifolio stecken drei Arten von Innovation. Zum ersten ist es eine rechtliche Innovation, denn diese Form des Tradings gab es noch nie. Zum Zweiten ist es eine technologische Innovation, da die Veranlagung in Real-Time passiert. Wenn zum Beispiel ein Trader seine Veranlagung umschichtet oder jemand neu in ein Wikifolio investiert, dann wird das in Echtzeit und mit fairen Preisen aufgelöst. Und zum Dritten ist es eine Vertriebsrevolution, weil es sich bei Wikifolio um eine neutrale Vermittlungsplattform handelt. Alle Trader können sich hier gleichberechtigt präsentieren.

Wie bist du zum Namen Wikifolio gekommen? Damit assoziiert man gleich Wikipedia und WikiLeaks.

Kern: Diese beiden Projekte haben uns sicher in gewisser Weise inspiriert. Bei Wikipedia geht es um Transparenz, das Mitmachgefühl und ein ständiges Wachstum und bei WikiLeaks handelt es sich um etwas sehr Revolutionäres. Auch wir sprechen gerne von einer Anlegerrevolution und das ist so gleich im doppelten Sinne gemeint: Die Revolution für Anleger und die Revolution der Anleger.

Wie hat dein Gründerteam ausgesehen und wie bist du das Funding für das Projekt angegangen?

Kern: Wir sind da sehr atypisch gestartet. Als die Idee klar war, habe ich mir zwei Gründungspartner gesucht. Das sind der Rechtsanwalt Peter Stock und der mir schon lange bekannte Unternehmensberater Herbert Lackner. Ich habe ihn als meinen Vorgänger und Interimsmanager bei Paybox kennen und schätzen gelernt. Die beiden sind dann mit wenig Kapital und vorrangig Arbeitsleistung eingestiegen. Das Funding am Start waren gerade einmal 60.000 Euro. Den Prototypen für die Plattform haben wir dann in einem „Revenue Sharing“-Deal mit einem Softwarepartner gebaut. Forschungsförderung haben wir in der Startphase nicht erhalten. Das Thema Finanzen schien damals zu anrüchig, damit wollten die Förderstellen anfangs nichts zu tun haben.

Erstaunlich, dass es so schwierig war, Förderungen zu erhalten. Wer sind denn heute die Investoren hinter Wikifolio?

Kern: In der ersten Finanzierungsrunde sind die deutsche Wirtschaftszeitung „Handelsblatt“ und I5Invest eingestiegen. Mit Michael Altrichter von der Speed Beteiligungs GmbH haben wir einen weiteren kompetenten Investor gewonnen, der selbst das Unternehmen Paysafecard gegründet hat. Vor kurzem erst hatten wir eine zweite Finanzierungsrunde, da war wieder das Handelsblatt dabei, dann die Wertpapierhandelsbank Lang & Schwarz und der Risikokapitalgeber Speedinvest. Oliver Holle von Speedinvest kenne ich schon lange und vor fünf Jahren hatte er selbst eine ähnliche Unternehmensidee, darum hat er unsere Arbeit sofort verstanden und das Projekt unterstützt. Wir haben aber zugegeben recht lange mit Oliver verhandeln müssen, weil er meinte, unsere Bewertung sei zu hoch.

Du hast da sicher schon ein gutes Fundament für die Zukunft. Was glaubst du, ist jetzt ausschlaggebend für den Erfolg von Wikifolio?

Kern: Ganz wichtig ist es, ein Netzwerk an Partnerschaften aufzubauen, die kompatibel zueinander sind und vernünftig miteinander zusammenarbeiten. In unserem Fall sind das neben den genannten Investoren auch die Börse Stuttgart und die Onvista. Die Börse Stuttgart ist die größte Privatanlegerbörse Europas und Onvista wiederum ist das größte deutsche Finanzportal, wodurch wir schon einen sehr guten Zugang zum deutschen Markt haben.

Das bringt uns gleich zur nächsten Frage: Wie sieht die Expansionsstrategie für Wikifolio aus?

Kern: Nach dem kommerziellen Erfolg in einem geographischen Raum wird es leicht sein, neue Investments zu bekommen und weitere Märkte zu erobern. Da die Produkte an der Börse gehandelt werden, sind wir heute schon international tätig. Wobei natürlich die Vertriebszulassungen in den verschiedenen Ländern unterschiedlich gehandhabt werden. International geht es also primär um den Aufbau von Vertrauen und gegebenenfalls Co-Branding. Möglicherweise reicht uns da aber schon ein starker Medienpartner.

Aber du willst durchaus weltweit reüssieren?

Kern: Die Zukunft für Wikifolio ist rosig und das Potenzial riesig. Ich vergleiche das gerne mit ETFs. ETFs sind eine Finanzinnovation, denn die Fonds kommen praktisch ohne Fondsmanager aus. Der Angriff auf die klassischen Fondsmanager erfolgt also gleichzeitig von ETFs und von unserer Plattform mit Social Media und einem aktiven Trading-Stil dahinter. Künftig kommt meiner Ansicht nach ein Anleger alleine mit ETFs und Wikifolio aus, um sein Vermögen zu veranlagen.

Um global skalieren zu können, braucht es aber erstmal ein funktionierendes Ertragsmodell. Wie schaut das bei Wikifolio aus?

Kern: Vorab muss ich betonen: Das Umschichten und das Traden in Wikifolio ist mit gar keinen Kosten verbunden! Den Anlegern verrechnen wir pro Jahr lediglich 0,95 Prozent des investierten Vermögens. Für die Trader selbst ist es kostenlos und wenn sie für die Anleger einen Gewinn erwirtschaften, dann sind sie je nach festgelegter Rate mit 5 bis 30 Prozent daran beteiligt.

Weitere Kosten fallen nicht an?

Kern: Nein. Bei uns sind alle Kosten transparent, was übrigens bei anderen Produkten oft nicht der Fall ist. Da müssen zwar sogenannte TER angegeben werden, aber viele Anleger wissen nicht, dass darin oft nicht die Kosten für Transaktionen eingerechnet sind. In einigen Fällen wird etwa für jede Umschichtung 60 Euro aus dem Vermögen genommen.

Der Break-Even ist für jedes Startup ein wichtiges Ziel. Wann nimmst du an, wird Wikifolio in die Profitabilität kommen?

Kern: Wenn wir weiter wie bisher wachsen, dann werden wir sehr bald die Profitabilität erreichen. Wir sind jedoch nicht auf Renditen für die Investoren aus, sondern wollen weiter investieren, um unseren Wettbewerbsvorteil auszubauen.

Vielfach wird behauptet, dass das klassische Bankgeschäft in der heutigen Form keine Zukunft hat. Wie beurteilst du das?

Kern: Ich sehe das anders, denn das klassische Bankgeschäft ist lebendiger denn je. Nur die Banken haben sich vom klassischen Bankgeschäft wegbewegt. Attac hat etwa angekündigt, eine gemeinnützige Bank zu gründen und tut dabei so, als wäre das etwas ganz Neues. Im Endeffekt stammt das Konzept aber von Friedrich Wilhelm Raiffeisen. Er hatte schon vor über hundert Jahren die Idee, dass man von Leuten aus der Region Geld sammelt und damit die lokalen Betriebe finanziert. Raiffeisen hatte dabei sicher keine Centrobank im Kopf.

Was sind die aktuellen Herausforderungen für Wikifolio? Woran arbeitest du gerade und was können wir langfristig noch von Wikifolio erwarten?

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Kern: Wir fokussieren jetzt darauf, Verbesserungen an der Plattform auch in neue Funktionen zu gießen: Neue Ordertypen, neue Suchfunktionen und neue Analysefunktionen sowie eine API, damit Externe gewisse Daten abgreifen oder Trades einspielen können. Für Broker wollen wir ebenfalls neue und anpassbare Module schaffen, damit sie auf ihren Seiten unsere Plattform bewerben. Langfristig kann man auf jeden Fall so einiges von uns erwarten, denn wir haben die richtigen Investoren an Bord, die auch längerfristig denken und die realistische Chance sehen, Wikifolio richtig groß zu machen. Das treibt uns an.

Wikifolio ist dein jüngstes Unternehmen aus einer Reihe von Startups. 1999 hast du bereits eine Plattform entwickelt, die schnell enormen Zulauf hatte. Was war die Motivation hinter dieser Gründung?

Kern: Der Grundgedanke dahinter war, Menschen zusammen zu bringen und zu vernetzen. Das haben wir in zwei Varianten getan: Die eine war Time2bCool und die zweite Variante war Time4Team. Mit Time4Team war es möglich, mit anderen Menschen schneller Termine und Orte auszumachen. Das Konzept war im Prinzip ähnlich wie heute Doodle. Unsere Plattform war außerdem schon mit Elementen einer virtuellen Visitenkarte ausgestattet, in der man seinen beruflichen Werdegang niederschreiben konnte. Ein Vergleich mit Xing ist vielleicht etwas weit hergeholt, aber die Idee ging schon in diese Richtung. Auf der Jugendseite Time2bCool stand das Thema SMS senden und Flirten im Vordergrund. Wir hatten damals bis zu 750.000 Benutzer auf der Plattform. Für damalige Zeiten war das extrem viel. Das hat dann auch zu recht witzigen Erlebnissen geführt, wie mit Christian Hess von Microsoft Österreich. Der hatte uns angeboten, bei der Skalierung der Plattform zu helfen, weil wir Microsoft-Software nutzten. Das Angebot haben wir gerne angenommen, aber er wollte uns dann gar nicht glauben, dass wir bereits durchschnittlich 3.000 Concurrent User auf der Seite managten. Als wir dann die Zahlen vorlegten, haben wir Microsoft beraten.

Was ist der Grund dafür, dass es diese Plattform heute nicht mehr gibt?

Kern: Wir mussten die Plattform im April 2001 leider einstellen. Wir waren zwar mit allen Aktivitäten im Plan, aber im gleichen Jahr platzte die Dotcom-Blase. Unser Lead-Investor 3i ist dann von einem Tag auf den anderen ausgestiegen. Wir haben trotzdem versucht das Unternehmen zu retten. Wir konnten aber keine neuen Investoren mehr gewinnen, weil das Verhalten des Lead-Investors eine starke Signalwirkung hatte. Wir standen also vor der Entscheidung kostenmäßig stark zu redimensionieren, oder voll am Gas zu bleiben. Einige Leute haben mir geraten, voll am Gas zu bleiben, aber das hat leider nicht funktioniert. Ich konnte dann im Konkursverfahren nachweisen, dass die Investoren immer zufrieden mit der Performance waren und dass noch im Februar 2000 eine Finanzierung in Aussicht gestellt wurde. Der abrupte Finanzierungsstopp ließ uns in die Insolvenz schlittern.

Was hast du dann gemacht?

Kern: Nachdem wir Time2beCool abgewickelt hatten, arbeitete ich bei beim Mobilfunker ONE und hatte dort die Aufgabe, Mehrwertdienste zu entwickeln. Rund sechs Monate nach Time2beCool verhandelte ich mit Jürgen Pansy von sms.at über Payment Deals. Da hat sms.at mit einem sehr ähnlichen Geschäftsmodell sehr gut verdient.

Welche Erkenntnis hast du aus dieser Erfahrung für dich und für deine weitere unternehmerische Tätigkeit gezogen?

Kern: Das Timing ist immens wichtig und man muss mit seinen Energien und Ressourcen haushalten können. Ich hinterfrage heute das Fokussieren der Startup-Szene auf Umsatzwachstum und Zeit. Vielmehr sollte jedes Startup im Unternehmensreport ausweisen, welches Verhältnis zwischen Kosten und Unternehmenswachstum besteht. Ich denke da an eine „return on money spent“-Kennzahl, bei der auf der x-Achse das ausgegebene Geld relativ zu den Umsätzen auf der y-Achse ausgewiesen wird. So ein Diagramm habe ich noch nirgendwo gesehen. Normalerweise sieht ein Report so aus, dass auf der x-Achse die Monate und auf der y-Achse die Umsätze aufgezeichnet werden. Ich bin aber dafür, dass die zeitliche Komponente grundsätzlich flexibler gehandhabt wird. Es gilt dann Gas zu geben, wenn sich Erfolge einstellen.

Was siehst du persönlich als deine Kernkompetenz?

Kern: Ich bin prinzipiell stur, aber kann auch zuhören und wenn die Argumente stimmig sind, kann ich meine Meinung auch radikal ändern.